Was ich sonst so mache in meiner Freizeit...
Philosophie trifft auf Hirnforschung – das Kind heisst
„aufgeklärter Naturalismus“
In guter philosophischer Tradition wird
zunächst auf 3 von 8 Kapiteln der Begriff der Willensfreiheit definiert. Damit
die Handlung einer Person als „frei“ bezeichnet werden kann gibt es 2 Minimalbedingungen
zu erfüllen, die Handlung darf nicht unter Zwang stattfinden und sie darf nicht
rein zufällig sein. Unter Zwang verstehen die Autoren sowohl äussere als auch
innere Zwänge. Wird die Person also von jemand oder etwas anderem zu einer Handlung
gezwungen, ist diese nicht als frei zu bezeichnen. Auch innere Zwänge – wie zum
Beispiel eine Sucht – führen zu Handlungen die nicht als frei bezeichnet werden
können. Zum anderen darf die Handlung auch nicht zufällig sein, sie muss aus
den Wünschen und Präferenzen der handelnden Person hervorgehen, ein Prozess der
Abwägung von Konsequenzen muss also stattfinden können. Nur wenn eine Handlung
in diesen Sinne „frei“ ist, ist es möglich die Person dafür zur Verantwortung
zu ziehen – was Konsequenzen auch für das Straftecht hat. Bestraft werden darf
also nur jemand, der „frei gehandelt“ hat – doch wie grenzt man dies ab? Wann
ist eine Handlung folge der Persönlichkeit eines Menschen und wann ist von
Zwang zu sprechen?
Die Persönlichkeit im Kopf
Eine Willenshandlung setzt die Existenz
einer „Persönlichkeit“ voraus, gewisse Handlungsmuster die aus bewussten und
unbewussten Präferenzen resultieren. Bei der Ausbildung der Persönlichkeit des
Menschen spielen viele Einflussfaktoren eine Rolle, wie zum Beispiel die
genetische Veranlagung, die physiologische Entwicklung des Gehirns, die soziale
Umwelt und die Alltagserfahrungen. Diese prägenden Faktoren haben ihre Ursachen
durchaus auch (und vor allem) ausserhalb des Hirns, jedoch werden sie vom Hirn
zu dem verarbeitet und miteinander verknüpft was jeder von uns als seine
„Persönlichkeit“ erlebt.
Gedanken und Handlungen beruhen für die
Autoren dieses Buches auf neuronalen Prozessen. Dabei wird der hier propagierte
„aufgeklärte Naturalismus“ gegen den vorgeworfenen „Reduktionismus“ abgegrenzt:
damit der Mensch überhaupt denken kann, bedarf es biologischer Vorgänge im
Gehirn. Die Gedanken und Gefühle selbst werden dadurch nicht auf diese
biologischen Prozesse reduziert, genauso wenig wie ein Text oder Musikstück auf
einen Binärcode reduziert wird, wenn man ihn digital speichert.
Die Legitimation der Strafe und Bestimmung des Strafmasses
Kritik geübt wird seitens der Autoren an
der präventiven sowohl an der retributivistischen Straftheorie. Die Strafe nach heutiger Auffassung des deutschen
Strafrechts schützt – präventiv – die
Rechtsordung durch Abschreckung und dient auch der Vergeltung der Schuld – also
retributiv – des Täters.
Nach der präventiven Straftheorie, hat die Strafe den Sinn zukünftige
Normverletzungen, also gesetzeswidrige Handlungen, zu verhindern. Zur
Rechtfertigung von Strafe reichen also die positiven Konsequenzen des Strafens,
die Tat selbst oder die Verwerflichkeit des Verbrechens spielt dabei keine
Rolle. Die Autoren deuten auf diese gefährliche Situation, denn wenn Prävention
und Abschreckung im Vordergrund stehen, lässt sich rein theoretisch auch eine
„präventive“ Bestrafung Unschuldiger rechtfertigen.
Bei dieser Argumentation etwas irritierend
war, dass nicht darauf eingegangen wird, welcher positive, respektive
präventive Effekt aus einer Bestrafung von Unschuldigen zu erwarten, oder
überhaupt möglich, ist. Denn wer schon eine Strafe befüchten muss, ohne ein
Gesetz zu brechen, wird kaum von einem Gesetzesbruch abhalten werden, da er ja
gegenüber dem Unschuldigen keine zusätzlichen Sanktionen zu erwarten hat.
Die Kritik an der Retributionstherorie besteht darin, dass nach dem ihr zugrunde
liegendem Vergeltungsprinzip das Ausmass der Schuld die Höhe der Strafe
bestimmen soll. Die Autoren zweifeln an der Annahme, dass sich Schuld und
Strafe miteinander aufwiegen lassen – plump gesagt – man kann Äpfel nicht mit
Birnen vergleichen und Schuld nicht mit Strafe aufwiegen, es fehlt eine Theorie
die ein „Ausmass an Strafe“ einer „Höhe der Schuld“ zuordnen kann.
Im Buch wird als Alternative zur
präventiven und retributivistischen Straftheorie eine „Vertragstheorie“
aufgestellt. Als Ausgangspunkt dient das Bedürfnis der Menschen nach
körperlicher Unversehrtheit und Schutz ihrer materiellen Güter. Aus diesem Interesse
entsteht das Bedürfnis nach einer Rechtsordnung. Daraus wird gefolgert, dass
die Verwirklichung der oben genannten Interessen – Unversehrtheit und Schutz
materieller Güter – nur möglich ist, wenn sich jeder einzelne an die Regeln
hält und die Strafe als Konsequenz der Regelverletzung akzeptiert. Die Fairness des Vertrags ist laut den
Autoren dadurch gegeben, da der Vertrag aus den Bedürfnissen der
Vertragspartner heraus entstanden ist, die alle dem Vertrag unterliegen. Bestrafung dient in diesem Modell der
Aufrechterhaltung dieser Rechtsordnung (also dem Schutz der Vertragspartner und
ihrer Güter) und darf nur so weit gehen, dass die Schutzbedürfnisse verteidigt.
Das Strafmass hat sich an der Schwere
der Schuld zu orientieren. Es wird behauptet, dieser Ansatz habe den Vorteil
gegenüber der Retributionstheorie, indem die Strafe ihre Legitimität aus den substantiellen Interessen der Vertragspartner
hat und nicht aus der Schuld oder dem Verbrechen abgeleitet werden muss. Gegenüber
dem präventiven Ansatz habe die im Buch skizzierte Theorie den Vorteil, das
Strafmass nicht aus dem „allgemeinen Interesse an einer funktionierende
Rechtsordnung“ abzuleiten sondern wie bereits erwähnt zur Aufrechterhaltung des
„individuellen Schutzbedürfnisses“.
Die Argumente mögen philosophisch gesehen
korrekt sein, jedoch ob sich dadurch für die Alltagspraxis das Strafmass
transparenter und einfacher quantifizieren lässt ist fraglich. Das grundlegende
Problem, ein „faires Strafmass“ zu bestimmen, dass der „Höhe der Schuld“ entspricht,
bleibt auch bei diesem Ansatz, auch wenn die Strafe im Gegensatz zur
Retributionstheorie der Wahrung des Schutzbedürfnisses und nicht der Vergeltung
dient. Etwas utopisch mag auch die Vorstellung sein, einen „fairen Vertrag“ aus
den grundlegenden Schutzbedüfnissen der Leute zustande zu bringen. Denn schon
existierende Machtstrukturen geben nicht allen „Vertragspartnern“ das gleiche
Gewicht beim Vertragsabschluss. Ein Beispiel hierfür könnte ein Fabrikarbeiter
in China sein, der seinen Anspruch auf Schutz der Gesundheit nicht einfordern
kann, da seine Armut und die Armut vieler anderer, die eine Arbeitsstelle
brauchen, ihn zwingt die unfairen Bedingungen des Arbeitgebers zu akzeptieren.
Aber eine schöne Vorstellung ist es allemal, dass aus den Bedürfnissen der
Individuen faire gesellschaftliche Spielregeln entstehen könnten.
Weitreichende Konsequenzen für den Strafvollzug?
Den Autoren gelingt eine gut strukturierte, logisch nachvollziehbare Definition ihrer Vorstellung von Willensfreiheit. Sie gehen wiederholt auf die wichtigsten Abgrenzungen der verwendeten Begriffe ein – besonders bei Begriffen wie „Freiheit“ und „Bewusstsein“ist dies wichtig, da sie im Alltag je nach Kontext eine etwas andere Bedeutung aufweisen – was das Lesen soweit verflüssigt, dass man nicht – wie sonst üblich bei Fachliteratur – andauernd zurückblättern muss. Es ist den Autoren gelungen, ihr Fachgebiet in einer Sprache zu präsentieren die zwar gewisse Konzentration verlangt – jedoch nicht einer geschlossenen Gesellschaft mit entsprechender Vorbildung vorenthalten bleibt. Was jedoch ein wenig enttäuschend ist, sind die „weitreichenden Konsequenzen für das Strafrecht und Strafvollzug“, die auf der letzten Umschlagsseite angepriesen werden. Das Buch greift die Problematik der Verantwortlichkeit bei Straftaten auf, vermag jedoch keine wirklich neue praktisch anwendbare Verfahrensweise bei der Feststellung der „Schuldfähigkeit“. Auch wenn die Neurobiologie Kindheitstraumata oder genetische Veranlangungen, die zum Beispiel zu Gewalttätigkeit führen können mit neuronalen Vorgängen in Verbindung bringen kann, ist es dennoch so, das eine Veranlangung und ein Traumata nicht zur Gewalttätikeit führen muss. Die Frage wann für die Gewalttätikeit die Umstände „verantwortlich“ sind und wann die handelnde Person selbst zur Verantwortung gezogen werden kann, ist immernoch schwer zu bestimmen. „Schuldfähigkeit“ lässt sich auch mit den neuen Erkenntnissen kaum besser quantifizieren. Die Autoren leisten sich hier einen Ausblick, und mutmassen, dass in Zukunft, falls sich erweist, dass tatsächlich Gene und traumatisierende Erlebnisse die Fähigkeit zur Selbstkontrolle verringern, ein viel grösserer Anteil der Täter in die Kategorie „schuldunfähig“ fallen wird als dies heute der Fall ist. Wie man mit dieser Kategorie von Straftätern umgehen soll, bleibt jedoch offen. Die Frage stellt sich, inwiefern darf ein Subjekt einem anderen die Fähigkeit Verantwortung zu übernehmen absprechen, und wie soll trotzdem die Würde dieser Person gewahrt werden.